Leni Riefenstahl hat TRIUMPH DES WILLENS (1935) einen Dokumentarfilm genannt. Sie habe ihn unter der Voraussetzung gedreht, danach keinen Film mehr für die NSDAP machen zu müssen, erklärte sie noch 70 Jahre später in einem Gespräch mit der Journalistin Sandra Maischberger (2002). Ob Riefenstahl in der Nazi-Diktatur Filme wie OLYMPIA (1938) machen konnte, ohne dass diese vom Propagandaministerium und dem großen Kinoliebhaber an seiner Spitze beeinflusst waren, ist eine der Fragen, die sich bezüglich ihrer Aussage stellen. Ob sie sich nicht mit der Menschenverachtung des Regimes gemein machte, als sie Zwangslagerinsassen für die Dreharbeiten zu TIEFLAND (1954) missbrauchte, ist eine andere. Dass TRIUMPH DES WILLENS den Parteitag nicht bloß dokumentierte, steht aber außer Frage. Eine neutrale, geschweige denn kritische Berichterstattung sehen wir in diesem Film nämlich nicht. Vielmehr verstärkt und überhöht er die Inszenierung der Reden und Kundgebungen noch. Dies begründete Riefenstahl mit der Motivation, als Regisseurin die bestmögliche Arbeit liefern zu wollen.

Auch viele Filmhistoriker und -kritiker bewundern die Schönheit ihrer Aufnahmen und betrachten Technik und Ästhetik losgelöst vom Inhalt. Damit gehen sie in die Falle, welche der Film auslegt und die Riefenstahl später als Schutzbehauptung verwendete. Mit den gleichen Kameraeinstellungen, so die Argumentation, die ihr von Maischberger wie ein Elfmeter in den Mund gelegt wurde, habe man auch den Parteitag der Sozialdemokraten filmen können. Das stimmt aber gerade nicht. Um die propagandistische Wirkung von TRIUMPH DES WILLENS zu verstehen, dürfen wir unseren Blick nicht nur darauf richten, was Riefenstahl filmt, sondern welche Bilder sie wählt und wie sie diese später montiert. Dann gelangen wir zu der Einsicht, dass TRIUMPH DES WILLENS ein visueller Ausdruck der Nazi-Ideologie ist: Ein von Größenwahn geprägtes Gemeinschaftsgefühl, verbunden mit sadistischer Aggression, welche sich schon im Titel ankündigt. Bevor wir dies am Filmmaterial deutlich machen, müssen wir die Denkmuster dieser Ideologie zunächst genauer erfassen.

Dabei steht uns folgendes Problem entgegen: Die tragenden Ideen des Nationalsozialismus und der Zeitgeist, der zu seiner Entstehung geführt hat, sind uns nicht mehr unmittelbar zugänglich. Die Auftritte der Nazis wirken in ihrem Pathos heute überdreht. Um nachzuvollziehen, warum sie ihre fatale Wirkung entfalten konnten, müssen wir verstehen, dass die Wut, die Hitler in seinen Reden zur Schau stellte, von den damaligen Zuhörern als authentische und befreiende Gefühlsregung aufgefasst wurde. Dann erkennen wir eine Verbindungslinie, die bis zu den Populisten der Gegenwart reicht. Donald Trump und die AfD-Politiker setzen bei ihrer Selbstdarstellung zwar nicht mehr so viel Pathos ein, aber der Mechanismus ist der Gleiche. Sowohl die Nazis als auch die Rechtspopulisten inszenieren sich als Stars. Ihre aggressiven Auftritte geben den Zuschauern eine Projektionsfläche. Sie wollen signalisieren, dass hier jemand genauso wütend ist wie die »schweigende Mehrheit« und sich stellvertretend für diese als Helden- oder Märtyrerfigur anbietet, welche, den angeblichen Tabus trotzend, die »Wahrheit« ausspricht. Die Sensibilität für bestimmte Themengebiete, ob Ökologie oder Pandemie, wird als Dekadenz abqualifiziert, der man mit gesundem Menschenverstand begegnen müsse. Dabei geschieht aber nichts Anderes, als Kulturleistungen wieder in ihr Gegenteil zu verkehren, mit archaischen Affekten auf eine vernunftgeleitete Auseinandersetzung zu reagieren. Gegen »feinsinniges Gequatsche« wird hier mit grober Faust auf den Stammtisch gehauen. Ideologie als Ordnungsprinzip soll her, wenn der Pluralismus zu unerträglich wird. An dieser Stelle verwandelt sich der Populismus in Faschismus.

Faschismus als Wunscherfüllung

Kultur bedeutet, dass wir unsere tiefsten Sehnsüchte sozialisieren, aus zerstörerischen Bedürfnissen Lebenszugewandte machen. Der Grundmythos für diesen Vorgang ist die Geschichte von Kain und Abel: Kain staut die Missgunst gegenüber seinem Bruder und den zu kurz gekommenen Drang nach Geltung so lange auf, bis sich beides in einem Anfall von Raserei entlädt. Doch seine Strafe für den Brudermord ist nicht der eigene Tod, sondern die Aufgabe, Städte zu bauen. Das Kainsmal, das er fortan trägt, weist ihn als Menschen aus: Wir sind alle Kinder Kains, denn von Abel gibt es keine Nachkommen. Die damit verbundene Entwicklungsaufgabe lautet, unsere tötende Gesinnung in Ethik zu verwandeln. Die Bergpredigt im Neuen Testament greift diesen Gedanken auf, wenn Jesus nahelegt, dem Bruder auch die andere Wange hinzuhalten. Die höchste Kulturleistung bedeutet hier, seinen Feind zu lieben statt ihn zu vernichten. Die Moral dient als zusätzliche Begrenzung: Schamhaftigkeit und Bescheidenheit bremsen sowohl den unstillbaren Geltungsanspruch als auch den Drang zuzuschlagen. Durch die Balance der Seinsansprüche wird der Größenwahn zur Religion und die Aggression zur Menschheitsliebe. [1]

Der Faschismus löst diese notwendigen Grenzen auf. Denn im Nationalsozialismus durften alle Berufsgruppen ihre tiefsten Sehnsüchte ungedrosselt ausleben: Das Militär brauchte nicht mehr nur in der Kaserne zu sitzen, um im Notfall das Land zu verteidigen, sondern es konnte »ohne Rücksicht auf Verluste« töten und erobern. Chirurgen mussten sich nicht mehr um Heilung kümmern, sondern durften ungehemmt »drauflosschneiden«. Und Juristen verwandelten ihren Anspruch nach Gerechtigkeit wieder zurück in die unbarmherzige Mordlust, indem sie durch Sterilisation und Todesurteile zahllosen Menschen das Leben nahmen. In allen Fällen erkennen wir einen sadistischen Größenwahn, der sich hinter einem Dienst an der Volksgemeinschaft verschanzt. Der Faschismus ist also das Gegenteil von Kultur. Er ist eine Rückentwicklung zur Barbarei. Eine Perversion, bei der problematische Anteile die Überhand gewinnen.

Sein und Haben

Der Kain-Mythos führt uns auch die Entstehung des Kapitalismus vor Augen. Indem Kain sagt: »Das ist meines«, verwirklicht er seinen Seinswahn in der Realität. Es ist eine Ersatzbefriedigung, die wir aus unserem Alltagsleben zum Beispiel in der Form von Statussymbolen kennen, dem berühmtem Dreiklang aus Auto, Haus und Bankkonto. Hier wird die Macht durch Sein in eine Macht durch Haben verwandelt. Anhand der Geschichte der jungen Bundesrepublik können wir diesen Mechanismus auf einer kollektiven Ebene nachvollziehen. Der Sieg der Alliierten über die Nazi-Diktatur wird heute als Befreiung gefeiert, er wurde aber als Niederlage erlebt. Schließlich mussten die gegnerischen Streitkräfte um jedes Haus kämpfen. Wenn wir uns die tragenden Ideen der frühen Bundesrepublik vergegenwärtigen, erkennen wir, dass Teile der Nazi-Ideologie in Umformungen weitergewirkt haben. Wie Jürgen Vogt erläutert, verwandelte sich das Wahnbild einer jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung in den Antikommunismus, und die Parole »Juden raus« kehrte als angepasster Slogan wieder, der sich nun gegen »die Ausländer« als Feindbild richtete (2008: 74, 77). Die Demokratie hatte nur deshalb Bestand, weil die verlorengegangenen Größenfantasien durch das Wirtschaftswachstum befriedigt wurden. »Wir sind wieder wer«, lautete die entsprechende Selbstversicherung. Eroberung und Siege fanden nicht mehr auf dem Schlacht-, sondern auf dem Spielfeld des Fußballs und der Ökonomie statt, wo es um unbedrohlichere Weltmeisterschaften ging.

Doch auch die Macht durch Haben neigt zur Grenzenlosigkeit. Deshalb sind wir heute nicht bereit, uns von dem Gedanken des Wachstums zu verabschieden. Wie üblich, verrät uns die Sprache: Statt von Stillstand oder Rezession ist von »Null-« beziehungsweise »Minuswachstum« die Rede (vgl. Berk 2007: 120). Der Psychoanalytiker Hermann-Josef Berk hat diese Vorstellung in den Worten ausgedrückt: »Wir haben von allem genug und wollen davon jetzt gerne mehr«. Die Verbindung von Seins- und Habmacht erkennen wir auch in Donald Trumps Wahlkampfslogan »Make America Great Again« wieder, der Selbstbewusstsein aus einer wirtschaftlichen Vormachtstellung schöpfen will.

Der Nationalsozialismus als Erlösungsreligion

Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf das Ende des Nationalsozialismus, um von dort aus den Anfang des Films zu beleuchten, der uns hier beschäftigt. In seinem Essay über den Westwall beschreibt Hermann-Josef Berk die mentale Verfassung der Deutschen beim Zusammenbruch der Diktatur:

Nach dem Schock von 1945 wurde Millionen klar, dass sie das alles doch gar nicht gesehen hatten, folglich auch nicht dabei gewesen sein konnten. Sie hatten doch nur am soundsovielten Millionsten Schreibtisch gesessen und Formulare ausgefüllt. Das ist der Schock, der eine tiefe Absturzdepression überlagert. Wie mit dem Fallbeil waren alle Wahnbilder gigantischer Größe amputiert: Der Star war tot, die Elite und Tausende Enttäuschte hatten sich umgebracht, saßen im Gefängnis oder waren außer Landes geflüchtet (2008: 42).

Wodurch war dieser Wahn ausgelöst worden? TRIUMPH DES WILLENS gewährt uns einen Blick auf seine Entstehung. Der Film beginnt mit folgendender Ankündigung:

Am 5. September 1934
20 Jahre nach dem Ausbruch des Weltkrieges
16 Jahre nach dem Anfang deutschen Leidens
19 Monate nach dem Beginn der deutschen Wiedergeburt
flog Adolf Hitler wiederum nach Nürnberg um Heerschau abzuhalten über seine Getreuen.

[TC: 00:00:51-00:01:37]

Bereits vor dem ersten Bild wird der verlorene Weltkrieg mit einer Metaphorik verbunden, die religiöse Motive mit Militärischem mischt. Eine Vorstellung, die den kompletten Film charakterisieren wird. Nach diesen einleitenden Titeln sehen wir die subjektive Einstellung aus einem Flugzeug. Das Hinabgleiten durch die Wolkenberge wirkt bereits wie die Ankunft eines göttlichen Erlösers. Als nächstes erscheinen Luftaufnahmen von Nürnberg und der Schatten, welchen das Flugzeug beim Landeanflug auf die Straßen der Stadt wirft. Noch sind es die Umrisse der Führer-Maschine. Jahre später werden es die der gegenerischen Tiefflieger sein. Als Hitler aus dem Flugzeug steigt, wird er von einer jubelnden Menge begrüßt. Zu sehen sind überwiegend Frauen und Kinder, die ihn frenetisch willkommen heißen. Riefenstahl inszeniert den Diktator als Star. Es könnte ebenso gut ein berühmter Schauspieler sein, der hier von seinen Fans empfangen wird.

Die darauf folgende Parade im offenen Wagen hebt hingegen Hitlers Rolle als Staatsmann hervor, der sich wie ein römischer Feldherr seinen Weg durch die Menge bahnt. Diese Bilder werden wir später wieder aus Paris sehen, bei der Siegesfeier nach dem so genannten Blitzkrieg. Nahaufnahmen Hitlers, der durch die Sonne eine Gloriole erhält, wechseln sich mit subjektiven Einstellungen aus seinem Fahrzeug ab. Dadurch erhält der Zuschauer den Eindruck, ganz nah beim »Führer« zu sein, an dessen Seite Platz zu nehmen. Erlöser, Star, Staatsmann, Feldherr – und der Zuschauer auf dem Beifahrersitz: Das ist die Grammatik, mit welcher Riefenstahl die Anfangssequenz ihres Films gestaltet. Sie endet mit dem Spektakel eines Fackelzugs, der an den von Goebbels später reinszenierten Marsch der SA durch das Brandenburger Tor im Januar 1933 erinnert.

Sadismus

Nach dieser atemraubenden Ouvertüre gewährt uns der Film eine kurze Pause zum Luftholen. Wir sehen friedfertige Bilder der erwachenden Stadt. Das idyllische Zwischenspiel leitet über zu Eindrücken aus dem morgendlichen Lager der Hitlerjugend. Diese sind von einer homosexuellen Atmosphäre geprägt, in welcher junge Männer ihre Kräfte in Spaßkämpfen erproben. Das Jugendlager wird als Rückzugs- und Erprobungsraum für Männlichkeit gezeigt. Frauen werden dabei nicht gebraucht, denn auch die Merkmale der guten Mutter, welche ihren Nachwuchs mit Essen versorgt, werden von der Organisation zur Verfügung gestellt. Hier wird die ideologische Verbindung von Hitlerjugend und Mutterkreuz deutlich, bei der Frauen zu Gebärmaschinen degradiert werden, die am Rande des Männerzirkus entweder brav in ihren Trachten oder als jubelnde, Blumen reichende Statistinnen auftreten dürfen. Davon sollte uns auch die (Selbst-)Inszenierung Riefenstahls als privilegierter Filmkünstlerin nicht ablenken, die vor diesem Hintergrund lediglich als verschleiernder Blickfang dient.

 

Triumph des Willens: Homosexualität
Abbildung 1: Refugium der Männlichkeit

 

Die Bilder von Männlichkeit schlagen später in eine pathologische Form der Homosexualität um, wenn die als Selbstversicherung des eigenen Geschlechts inszenierten Knabenspiele in militaristische Paraden münden. Dann entlarvt sich das »Pfadfinderlager« als Vorbereitung auf die Kaserne. An dieser Stelle beginnt die Indoktrination in den sadistischen Anteil des Nationalsozialismus, bei dem Männer darauf trainiert werden, untereinander Blut fließen zu lassen. Im Nationalsozialismus können wir ein problematisches Bild von Sexualität ausmachen, das uns an Michel Focaults Bemerkung über de Sade als »Sergeant des Sex« erinnert (1985: 61-68). Personen- und Menschheitsliebe sowie die Du-Bezogenheit als ausgleichende Kräfte kommen dann nur noch gegenüber den »Kameraden« und dem »Führer« beziehungsweise der »Volksgemeinschaft« zur Geltung. Hermann-Josef Berk zitiert das persönliche Gespräch mit einem Zeitzeugen:

Der Sanitäter einer Panzereinheit berichtete, dass ihm bei einem Angriff auf seinen Panzer der halbe Fuß weggeschossen wurde, er mit den anderen aus dem Panzer sprang und nach vorne lief, ohne die Verletzung zu bemerken: ›Er habe sich noch nie so lebendig gespürt wie bei diesem Angriff‹. Das war die Prämie: sich so lebendig zu verspüren, wie noch nie zuvor. […]  Der tragende Affekt war ein aggressiv-destruktiv, hemmungslos forderndes, manisches Lebensgefühl, wie es zuvor in diesem Ausmaß unvorstellbar war – ohne jede Rücksicht auf Lebenserhaltung. (2008: 40).

Tod und Zerstörung kamen für die Täter in dieser Gleichung nicht vor, weil sie als Verkehrung präsentiert wurden: Tod schafft Werte des Lebens (ebd.: 39).

 

Vom Kleinheitswahn zum Größenwahn

Der nächste Abschnitt des Films, welcher seinen Hauptteil bildet, ist von einer anderen Dynamik geprägt. Bei der Kundgebung des Reichsarbeitsdienstes stehen die Menschenmassen nun in Reih und Glied. Die Akteure sprechen und bewegen sich nicht als Individuen, sondern als »Volkskörper«. Die Kamera betont dies, indem sie das Gleichzeitige hervorhebt: Reihen anonymer Hände, die Trommeln schlagen, Spaten schultern, Fanfaren blasen und Fahnen senken; gestaffelte Aufnahmen sowie Kamerafahrten, die an einem Meer von Uniformierten entlangführen. An dieser Stelle erleben wir den sozialistischen Teil der Nazi-Ideologie, denn diese Bilder könnten genauso gut aus der Sowjetwunion oder der Volksrepublik China stammen. Die »Arbeitsmänner«, welche sich selbst, im Gleichschritt auf die Kamera zu marschierend, als »Arbeitssoldaten« besingen, beschwören unter dem beherrschenden Blick des »Führers« ihren Dienst an der Gemeinschaft. Die überschwängliche Begeisterung der Einleitung ist hier zu einem bedeutungsschwangeren Pathos geworden. Die Sprechchöre erinnern an Gebete. Hermann-Josef Berk beschreibt das Menschenbild, welches uns diese Sequenz des Films vor Augen führt, sehr treffend:

Der Nazi selbst war in der Ideologie eigentlich kein lebendiger Mensch, er war der perfekte Funktionsträger und Vollstrecker der Idee einer klassenlosen Gesellschaft, die allerdings mit einzelnen Menschen nichts zu tun hatte (ebd.).

 

Triumph des Willens: Kollektivismus
Abbildung 2: Rasender Gott

 

Ab diesem Punkt vollzieht der Film ein stetiges Crescendo. Es setzt sich fort durch die Kundgebung der Hitler-Jugend sowie eine Militärparade der Reichswehr. Dieses Triptychon macht die Rolle der Jugendorganisationen als Durchlauferhitzer für die Heimat- und Kriegsfront deutlich. Der nächste Höhepunkt ist die Nachtszene, welche an ihrem Ende mit dem insgesamt dritten Fackelzug des Films aufwartet. In seiner Rede verbindet Hitler hier die kollektive Verschmelzung mit dem Erlösungsmotiv, wenn er die Entstehung des Nationalsozialismus als gottgewollte Aufgabe verherrlicht. Oder wie Hermann-Josef Berk es ausdrückt:

Jeder Deutsche Teil eines rasenden Gottes – ihn betreibend und von ihm gehalten (ebd.).

Bei der Gedenkfeier für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs rückt das Gigantomanische in den Vordergrund, der Rausch der Größenfantasien steigert sich ins Grenzenlose hinein. Alles ist nun so überbordend, dass es sich von der Kamera nicht in Gänze einfangen lässt, selbst nicht durch den Gottesblick der Aufnahmen aus dem Aufzug: die unüberschaubare Masse von SA- und SS-Verbänden, die in den Himmel emporreichenden Fahnen, die Rednertribühne und der sie noch überragende Reichsadler. Woher kommen diese Größenfantasien, welcher Teil der Nazi-Ideologie drückt sich hier aus? Wie Hermann-Josef Berk ausführt, sah das Drehbuch des Nationalsozialismus vor, dass

alle im Volk Teilhaber und Agenten einer neuen Geschichte wurden, die ungehinderte, manische, gigantische Größe ohne auch nur den Schatten eines Schadens und eines Schuldgefühles versprach. […]

Dem einfachen ›Volksgenossen‹ ist glaubhaft versichert worden: Du bist das Volk – Du bist der Herrenmensch – Du bist Gott. Gepuscht durch die scheinbare wirtschaftliche Blüte, internationale Verträge außer Kraft gesetzt, der Versailler Vertrag ignoriert, den Blick weit über Deutschland auf zu erobernde Länder gerichtet, vorneweg immer die Worte ›Groß‹ und ›Gigantisch‹. Das gab aggressiv-manisches Adrenalin bis zum Platzen.

Die Worte mussten natürlich auch sinnfällig bebildert werden durch ›große‹ und ›gigantische‹ Bauwerke: Autobahn – Prora – Germania – Westwall. […] An diesen konnte der Volksgenosse ablesen, wie groß er selbst laut Propaganda war. […] [D]ie gebauten Bebilderungen passten in ihrer scheinbar grenzenlosen Ausdehnung hervorragend zur grenzenlos fordernden Manie: Ich bin der Westwall – ich bin die Autobahn – ich bin die nationalsozialistische Transzendenz – ich bin Gott. Wer falsch guckt, ist tot (ebd.: 40, 42).

Wir können nur verstehen, warum diese Vorstellung für mehr als ein Jahrzehnt zur tragenden Idee werden konnte, wenn wir weit in die Geschichte zurückblicken. In seiner psychohistorischen Analyse geht Hermann-Josef Berk bis zu Meister Eckhart und Hegel zurück. Dann erkennen wir eine lange Zündschnur, die nach dem Ersten Weltkrieg immer schneller abbrennt. Denn die als Demütigung erlebte Niederlage, die Reparationszahlungen, die Wirtschaftskrise und die Massenarbeitslosigkeit hatten das Blut kochen lassen. Lange aufgestaute Minderwertigkeitsgefühle explodieren schließlich in einer grenzenlosen Selbstaufwertung: Wenn ihr uns demütigen wollt, erobern wir die Welt. Der Kleinheitswahn schlägt um in Größenwahn. Bereits in dem Begriff »Nationalsozialismus« drückt sich die Dynamik von Selbstaufwertung durch Partizipation aus, wie sie für jede Ideologie typisch ist: Wir gemeinsam gegen die, welche uns kleinmachen wollen. Hier sind wir wieder bei den Anfangstiteln von TRIUMPH DES WILLENS. Und wir erkennen den Kain darin wieder, der auf eine vermeintliche Geringschätzung mit vernichtender Wut reagiert. Denn das Gottvertrauen und die Bescheidenheit Abels erweckten mehr Gefallen als die Geltungssucht seines Bruders. Auf ähnliche Weise argumentieren die heutigen Populisten: Wozu sich um die Probleme von Migranten kümmern? Wo bleiben wir mit unseren Bedürfnissen? Hinter der Arroganz verbirgt sich mangelndes Selbstvertrauen, das bereits über den Abgrund zur Paranoia hin schielt.

 

Triumph des Willens: Größenwahn
Abbildung 3: Gottsein ohne Schuld

 

Wie es für die anfallsartigen Kräfte typisch ist, richtete sich die explodierende Wut des Nationalsozialismus nicht nur gegen die vermeintlichen Verursacher sondern auch gegen die eigene Gruppe, führte zum Völkermord und in die Selbstvernichtung. Statt Ritterlichkeit gab es das Ritterkreuz für den Sprung in den Abgrund. Statt die Mordlust in Ethik zu transformieren, wurde eine Art von Pseudoreligion erschaffen, welche den Blutrausch legitimierte und zum Wert erhob. Die Eröffnungsreden in der Luitpoldhalle, stärker noch die Abschlusskundgebung, haben deshalb den Charakter eines Gottesdiensts, bei dem der Nationalsozialismus als Religion und die »Parteigenossen« als ihre Jünger verherrlicht werden. Durch die abschließenden Worte von Rudolf Hess knüpft der Film an seine erste Einstellung an, welche die Niederkunft eines Erlösers angedeutet hatte. Hitler wird nun endgültig als schwarzer Messias dargestellt:

Die Partei ist Hitler. Hitler aber ist Deutschland wie Deutschland Hitler ist. Hitler, Sieg Heil!

[TC: 01:49:03-01:49:15]

Heinrich Himmlers »Posener Reden« vom Oktober 1943 erscheinen vor diesem Hintergrund weniger als Durchhalteparole, sondern als Manifest. Wenn er davon spricht, angesichts der zahllosen Verbrechen »anständig« zu bleiben, ist das der Katechismus für den industrialisierten Massenmord, bei welchem den Tätern erleichtert werden soll, was zum Wohl der Gruppe getan werden »muss«. Die Nationalsozialisten »schufen damit eine neue Art des Verbrechens«, erläutert Hermann-Josef Berk.

Dieses Verbrechen hatte keinerlei Blick mehr für das Opfer. Das Opfer wurde zu einer einfachen fortführenden Begründung für Aktionen und ging dann spurenlos auf in den Denkgleichungen des Nationalsozialismus. […] Dieses neue Verbrechen war auch in den Nürnberger Prozessen die große juristische Komplikation. Es hatte schon immer Völkermord gegeben, es gab aber kein Vorbild von Mord nach Wissenschafts-, Verwaltungs- und Industrieregeln […]. Für dieses neue Verbrechen mussten neue Wahrnehmungs- und Gewichtungskategorien entwickelt werden, die heute in Den Haag am Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen zur Grundlage geworden sind (2008: 39).

Den Blick vom Opfer abzuwenden, das ist nur möglich, indem alle seelischen Kräfte auf ihre archaische, antisoziale Form regredieren: Selbstbewusstsein spaltet sich in Größen- und Verfolgungswahn auf. Selbstbeschränkung wird zur Hab- und Machtsucht. Bescheidenheit zur Geltungssucht. Gerechtigkeitssinn zu Rachsucht und Selbstzerstörung. Menscheitsliebe zum Sadismus. Frustrationstoleranz zum Dominanzstreben. Weltgewandheit zum Heimatfetisch. Und Eigenständigkeit zur Führertreue.

Der Nationalsozialismus als Virus

TRIUMPH DES WILLENS ist kein Dokumentarfilm, sondern ein Selbstzeugnis des Nationalsozialismus. Im Gegensatz zum Vorgängerfilm DER SIEG DES GLAUBENS (1933), mit dem Riefenstahl aus Eitelkeit später nicht mehr in Verbindung gebracht werden wollte, sind die Inszenierung des Parteitages und ihre filmische Darbietung hier perfekt durchchoreographiert. Die Regisseurin zeigt, wie die Nationalsozialisten gesehen werden wollen. Das ist der Grund dafür, dass TRIUMPH DES WILLENS auf der Liste der so genannten Vorbehaltsfilme steht, die nur unter medienpädagogischer Begleitung vorgeführt werden dürfen.

Der Nationalsozialismus wird heute behandelt wie ein Virus, vor dem die Bevölkerung geschützt werden soll. Die Angst vor einer erneuten »Ansteckung« ist so groß, dass wir diesen Teil unserer Vergangenheit in den Giftschrank sperren mit der Hoffnung, er möge sich im Orkus der Geschichte auflösen. Wir können aber nur »immun« gegen diese Ideologie werden, wenn wir uns mit ihr auseinandersetzen. Der erste Schritt dafür ist, dass wir uns ihr aussetzen. Dazu gehört die Beschäftigung mit ihren Kunsterzeugnissen. Denn während wir die Denkfiguren des Nationalsozialismus anhand anderer historischer Quellen lediglich verstandesmäßig erfassen können, ermöglichen uns Filme wie TRIUMPH DES WILLENS oder JUD SÜSS (1940) im Sinne Siegfried Kracauers einen unmittelbaren Zugang. Sie lassen uns den nationalsozialistischen Wahn auch gefühlsmäßig erleben. Dadurch rückt der ihn befördernde Zeitgeist in eine unangenehme Nähe. Doch gerade diese Nähe ist wichtig, um eine innere Distanz herzustellen.

 


[1]
Für den Schicksalsanalytiker Leopold Szondi ist Moses eine weitere Personifizierung dieser Kulturleistung. Er ist ein »abelisierter Kain«, der vom Totschläger zum Religionsstifter reift. Doch ihm wird der Einzug in das gelobte Land verwehrt, weil er immer wieder in Gewalt und Geltungsdrang zurückfällt (vgl. Szondi 1973).


 

Literatur

Berk, Hermann-Josef (2008)
»Faszination in Beton. Eine psychohistorische Skizze«. In: Jürgen Kunow (Hg.): Zukunftsprojekt Westwall. Wege zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Überresten der NS-Anlage. S. 37-45
Ders. (2007)
Zum Erwachen der Psychoanalyse. Der zweite Weg der Aufklärung. Remagen

Foucault, Michel (1985)
»Sade, ein Sergeant des Sex«. In: Von der Freundschaft als Lebensweise. Michel Foucault Im Gespräch. Berlin. S. 61-68

Kracauer, Siegfried (1999 [1947])
Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt am Main. 4. Aufl

Kulcsar, Istvan S. (1966)
»Ich habe immer Angst gehabt. Test- und Untersuchungsbefunde zur Persönlichkeit Adolf Eichmanns«. In: DER SPIEGEL 47/1966. Hamburg

Szondi, Leopold (1973).
Moses. Antwort auf Kain. Bern
Ders. (1972)
Lehrbuch der experimentellen Triebdiagnostik. Band I. Bern
Ders. (1956)

Ich-Analyse. Die Grundlage zur Vereinigung der Tiefenpsychologie.
Bern

Vogt, Jürgen u. Elena Vogt (2008)
»Deutsche Sprache und Kultur«. In: Jürgen Junglas (Hg.): Kultur der Therapie der Kulturen. Psychotherapie und Psychiatrie mit Migrationshintergrund. Bonn

Filme

Der Sieg des Glaubens. Leni Riefenstahl. DE 1933

Die Maßlosigkeit, die in mir ist. Sandra Maischberger trifft Leni Riefenstahl. Hans-Jürgen Panitz. DE 2002

Jud Süß. Veit Harlan. DE 1940

Olympia. Fest der Völker. Leni Riefenstahl. DE 1938
Olypmpia. Fest der Schönheit. Leni Riefenstahl. DE 1938

Tiefland. Leni Riefenstahl. DE 1954

Triumph des Willens. Leni Riefenstahl. DE 1935

Abbildungen

Titelbild + Abb. 1-3
Filmstills aus:
Triumph des Willens. Leni Riefenstahl. DE 1935